Expertenforum Rothenburg ob der Tauber diskutiert Neuausrichtung in Stadtmarketing, Tourismus und Handel

08.11.2021
45 Experten diskutierten am Freitag, d. 05.11.2021, in einem „Expertenforum“ über die Neuausrichtung von Stadtmarketing, Tourismus und Einzelhandel von Rothenburg ob der Tauber. Die Teilnehmer repräsentieren lokale Vereine und Institutionen. Sie waren dafür in der Reichsstadthalle zu einem dreistündigen Expertenforum zusammengekommen. Eingeladen hatten die BBE Handelsberatung (München), das Institut für Stadt- und Regionalmanagement (München) sowie das Architektur- und Stadtplanungsbüro PLANKREIS (München).

Eine Botschaft: Die Rothenburger sollen wieder Lust haben, in ihrer Innenstadt einzukaufen. Dafür muss das Angebot für Einheimische attraktiver sein und die Aufenthaltsqualität erhöht werden. Eine weitere Botschaft: Rothenburg soll attraktiver für junge Leute werden. Das Thema Bildungsangebote ist hier das zentrale Thema. Oberbürgermeister Dr. Markus Naser zieht für die Veranstaltung eine positive Bilanz: „Wir sind einen großen Schritt weitergekommen.“

Neben Naser waren Vertreter des Stadtmarketingvereins, der Ortsgruppe des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes, des Einzelhandelsverbands, des Verbands Rothenburger Gästeführer, des Gastronomischen Bildungszentrums, der IHK, des Campus Rothenburg der Hochschule Ansbach, der Evangelischen Tagungsstätte Wildbad, des Festspiels der Meistertrunk e.V. sowie verschiedene Beiräte aus dem sozialen Bereich und Mitarbeiter der Stadtverwaltung in die Reichsstadthalle gekommen.

„Ich nehme von der Veranstaltung mit, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Kompetenz, Engagement, Zusammenarbeit und Aufbruchsstimmung die maßgeblichen, zukunftsorientierten Themen vorantreiben wollen“, sagt Timm Jehne, Teamleiter Standort und Immobilie bei der BBE Handelsberatung.

Jehne und sein BBE-Team haben monatelang die innerörtlichen Strukturen von Rothenburg analysiert und eine Liste mit Stärken und Schwächen erstellt. Die Handelsstärken der Stadt liegen in den Sortimentsbereichen Glas, Porzellan und Geschenkartikel sowie einer grundsätzlichen Breite im Angebot.

Aber es gibt auch Schwächen: Es fehlen ausreichende Angebote im Bekleidungsbereich (Herren, Damen, Kinder) sowie Läden mit stark regionalisierten Produkten, „die das Rothenburger Publikum und das Umland ansprechen“, sagt Handelsfachmann Jehne.

Das Marktgebiet von Rothenburg umfasst ein Bevölkerungspotenzial von rund 35.500 Einwohnern, die für eine einzelhandelsrelevante Kaufkraft von jährlich 272 Millionen Euro stehen. Die BBE hat für die Rothenburger Innenstadt rund 11.500 Quadratmeter Verkaufsfläche ermittelt, auf denen ein jährlicher Umsatz von rund 42 Millionen Euro erzielt wird.

„Aber diese 42 Millionen Euro stammen überwiegend aus dem touristischen Bereich. Doch wir wollen, dass auch die Rothenburger wieder in ihrer Stadt einkaufen. Zudem muss das Umland stärker angesprochen werden“, formuliert Jehne eines der Ziele.

In vier Themenbereichen diskutierten alle Teilnehmer die jeweiligen Stärken und Schwächen der Stadt und leiteten Handlungsperspektiven ab.

1. Einzelhandel, Dienstleistung, Gewerbe

  • Stärken: Kurze Wege, viele Familienbetriebe, starkes Handwerk, starke Vereine, kreative Impulse aus der Gesellschaft, viele Kunden aus Baden-Württemberg.
  • Schwächen: Wenig Damenoberbekleidungsgeschäfte, keine Herrenoberbekleidung, geringes Textilangebot für Kinder, Ladenflächen zu klein, fehlende Barrierefreiheit, wenig Außengastronomie, kaum Gastronomie für junge Leute, zu wenig Mülleimer, unattraktive Ladenlokale, hohe Ladenmieten sowie fehlender Gemeinschaftssinn aller Akteure.
  • Lösungsansätze: Die bestehende Marke „Made in Rothenburg“ stärken, mehr Beratung für Immobilieneigentürmer und Mieter, mehr Pop-up-Stores in der Innenstadt, höhere Aufenthaltsqualität.

2. Bildung & Kultur

  • Stärken: Alle Sparten vorhanden, IHK mit Bildungszentrum für die Gastronomie. Kurze Wege für Jugend, als Arbeitsort geschätzt, starke Museenstandorte.
  • Schwächen: Flucht von akademischen Fachkräften, keine Barrierefreiheit in Museen, schlechte Verbindung von Kultur und Bildung, Verlust des Goethe-Instituts.
  • Lösungsansätze: Informelle Bildung fördern, Rothenburg als Home Office-Stadt für „Digital Nomads“ aufbauen, Hochschule Rothenburg muss Präsenzveranstaltungen schaffen.

3. Tourismus

  • Stärken: Bekanntheit der Marke, Weihnachtsdorf, familiengeführte Hotels.
  • Schwächen: Authentisches Leben ist verlorengegangen, Tourismusmüdigkeit bei der Bevölkerung, hohe Abhängigkeit von ausländischen Touristen, negatives Image als „deutsches Disney“.
  • Lösungsansätze: Verweildauer in der Stadt erhöhen, Übernachtungsmöglichkeiten für junge Leute schaffen, Jugendherberge halten, Kulturangebote für junge Leute ausbauen, Taubertal besser einbinden, Rothenburg als Fahrradstadt ausbauen, E-Lade- und Handyladestationen installieren sowie mehr Sitzgelegenheiten schaffen.

4. Stadtstruktur & Stadtentwicklung:

  • Stärken: Viele schöne Spielplätze, kurze Wege.
  • Schwächen: Schwach ausgebauter ÖPNV, mangelhaftes Verkehrskonzept, kein Nachtbus.
  • Lösungsansätze: Brauhaus als Studentenstandort entwickeln, ganzheitliches Verkehrskonzept entwerfen, Schrannenscheune zum Begegnungsort machen.

Das gut dreistündige Treffen in der Reichsstadthalle wurde von den Teilnehmerinnen durchweg als positiv bewertet. „Das bayerische Fitnessprogramm ‚Starke Zentren‘ hat uns durch einen spannenden partizipatorischen Prozess geführt. Der heutige Workshop mit relevanten Vertretern gesellschaftlicher Interessensgruppen hat gezeigt, wo in Rothenburg ob der Tauber der Schuh drückt. Neben dem sehr starken Handlungsfeld Tourismus haben wir miteinander das Handlungsfeld Bildung als Zukunftsthema identifiziert. Mit zwanzig Bildungsinstitutionen (darunter auch zahlreiche Museen) sind wir bereits gut aufgestellt. Wir müssen sie nur noch stärker profilieren und dafür sorgen, dass sie noch mehr junge Menschen nach Rothenburg ob der Tauber ziehen, die dann auch hierbleiben“, sagt Oberbürgermeister Dr. Naser.

Wie man die Überalterungstendenzen der Stadt stoppen kann, weiß Tourismusdirektor Dr. Jörg Christöphler: „Unser Ziel muss sein, den Denkmalschutz in der Altstadt und junge Menschen zusammenzubringen.“

Einen anderen Ansatz, junge Menschen für Rothenburg zu begeistern, hat Ariane Koziollek, Geschäftsführerin des Stadtmarketingvereins: „Rothenburg ist ein ideales Pflaster für Existenzgründer aus Handel und Handwerk. Die Vorbilder sind die inhabergeführten Facheinzelhändler. Wir haben mehr als 130 Geschäfte in der Altstadt und eine moderate Leerstandsquote.“

Auch Jürgen Klatte, Ortsvorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands, weiß um die Probleme der jungen Leute. „Die Gastronomie- und Hotelbranche leidet unter Fach- und Arbeitskräftemangel. Auszubildende und junge Arbeitskräfte benötigen bezahlbaren Wohnraum. Es ist erfreulich, dass es zu diesem Workshop gekommen ist.“

Das Fazit von BBE-Experte Timm Jehne: „Rothenburg bietet die Chance, eine der stärksten deutschen Tourismusstädte so zu modernisieren, dass Gäste und Einwohner harmonieren.“

Aufgrund der vielen guten Erkenntnisse sowie des Tatendrangs aller Beteiligten ist eine Weiterführung dieses Dialogs gewünscht. Ein Termin steht noch nicht fest.