Der Handel stellt die Generationenfrage

Jul 2023
Der Mittelstand bildet das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Eine besondere Rolle kommt dabei den Familienunternehmen zu. Schließlich sind von den rund 3,6 Millionen mittelständischen Unternehmen in Deutschland 3,3 Millionen in Familienhand – zum Teil schon seit vielen Generationen.

In den kommenden drei Jahren stehen rund 772.000 dieser Familienunternehmen vor der Übergabe des Betriebs an die nächste Generation. Dr. Philipp Hoog, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Strategieberatung, BBE Handelsberatung GmbH: „Eine Unternehmensübergabe ist ein komplexer Prozess, bei dem rechtzeitig alle Karten auf den Tisch gelegt werden müssen, da in vielen Fällen viel Emotion und Risiko durch gebundenes Familienvermögen im Spiel sind.“ 

Neben den familiären Prämissen sollten daher laut Hoog daher bei der Frage der Unternehmensnachfolge auch konjunkturelle und branchenspezifische Überlegungen sowie die individuelle Situation des eigenen Unternehmens berücksichtigt werden, um den richtigen Zeitpunkt für eine erfolgreiche Übergabe sicherzustellen. Viele potenzielle Nachfolger täten sich schwer mit dem Gedanken, in den elterlichen Betrieb einzusteigen. „Denn ihre eigene Rolle in der Familie wird künftig eine andere sein als bisher. Einerseits bedeutet Familie nach wie vor Sicherheit und Geborgenheit durch familiäre Bindungen. Andererseits muss man sich in hierarchische Strukturen einfügen, steht möglicherweise in Konkurrenz zu anderen Familienmitgliedern und wird künftig nicht mehr ausschließlich als Sohn oder Tochter, sondern als Leistungsträger gesehen.“ Nicht zuletzt, weil es oft genug auch um das finanzielle Auskommen und die Altersversorgung des ausscheidenden Unternehmensgründers geht. 

Der Erfolg der nächsten Generation, hängt davon ab, wie zukunftsfähig das Unternehmen zum Zeitpunkt der Übergabe ist. Um das Unternehmen „enkelfähig“ und damit langfristig marktfähig zu machen, bedarf es einer konsequenten Ausrichtung an den Kundenbedürfnissen, einer intensiven Pflege der Lieferantenbeziehungen und einer Optimierung der betrieblichen Prozesse – beispielsweise auch durch Digitalisierung. Es gilt die Unternehmensstrategie eng mit dem Nachfolgeprozess zu verknüpfen und mögliche Abhängigkeiten frühzeitig zu berücksichtigen und den Nachfolger aktiv miteinzubinden.

Hoog: „Wenn weder Tochter noch Sohn vorhanden sind, stellt sich ohnehin die Frage, wer übernehmen soll. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, zu prüfen, ob nicht beispielsweise ein Mitbewerber mit entsprechendem Netzwerk noch besser geeignet ist, den Betrieb zu übernehmen als ein Familienmitglied.“ Manchmal liegt die Lösung aber auch so nah: Ein langjähriger Mitarbeiter, der mit Betriebsabläufen bestens vertraut ist und schon so manches konjunkturelle Tief miterlebt hat, kann durchaus ein würdiger Nachfolger sein. Egal, wer übernimmt: In jedem Inhaberwechsel steckt in der Regel die Chance, durch neue Wege auch neue Kundengruppen zu erschließen. Ein junges Führungsteam hat eher Zugang zu den Bedürfnissen jüngerer Zielgruppen. 

Insgesamt ist der Nachfolgeprozess ein Thema, das nicht nur das jeweilige Unternehmen betrifft, sondern aufgrund seiner Dynamik auch zwingend eine stärkere Fokussierung des Systemgebers bzw. der Kooperation erfordert. Der Grund dafür darf nicht nur der drohende Verlust von Einkaufsvolumina sein, sondern sollte vielmehr in der nachhaltigen Entwicklung des Systems, der Marke und der Kooperation liegen. Daher sollten auch neue Modelle ermöglicht werden, wie z. B. die temporäre zentralseitige Weiterführung oder der Zukauf von anderen Unternehmensgruppen im Interesse der eigenen Mitglieder ermöglicht werden. Hierfür sind die entsprechenden internen und strukturellen Voraussetzungen in den Systemen und Kooperationen zu schaffen. 

Hoog: „Wer sich bewusst für die Fortführung der Tradition und des Familienunternehmens entscheidet, sollte bestehende Strategien sowie vorhandene Strukturen konsequent hinterfragen und Kundenbedürfnisse in den Prozess integrieren, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu sichern.“
 

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Ansprechpartner
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Dr. Philipp Hoog

Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Strategieberatung
Brienner Straße 45,
80333 München